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DER UNWIDERSPROCHENE MYTHOS DER 80ER-JAHRE die wiener gruppe. a moment of modernity


EDI SCHULZ: KARL WELUNSCHEK HYPNOTISIERT DEN FROSCH,

Edi Schulz: Karl Welunschek hypnotisiert den Frosch

Buntstift auf Papier, 1984. Anlässlich der Inszenierung von „Der Frosch“ (Herbert Achternbusch) im Ensemble Theater am Petersplatz.

 

„Wer sich an die 80er-Jahre erinnern kann, war nicht dabei.“ (Falco)


Die 1970er-Jahre gingen in Wien mit großartigen Theaterleuten zu Ende wie Dieter Haspel (Ensemble Theater im Kärntnertortheater), Hans Gratzer (Kärntnertortheater) und Conny Hannes Meyer (Die Komödianten, Theater am Börseplatz). Möglich, dass sich daraus eine Eigendynamik in den frühen 80ern speziell am Theater entwickelt hatte. Die Realität sah anders aus. Die Netzwerke der 1980er-Jahre waren von physischer Natur geprägt und man versuchte Körpertheater in realitas. Die Chaträume der 80er hießen Oswald & Kalb, Schoko, Wunderbar, Kleines Café, Salzamt, Alt Wien. Die Bäckerstraße war die Straße der Träume, der Wünsche, der unerfüllten Möglichkeiten. In diesem Feuchtbiotop fand der Austausch von Körperflüssigkeiten und Missbrauch verbotener Substanzen statt. Der Uhudler hatte sich in die Gehirne endgültig hineingeätzt. Statt über den Touch-Screen zu streifen, streifte man aneinander, verschlang sich ineinander. König Alkohol war der Spielansager. Lebemänner, gescheiterte Existenzen, Künstlerinnen und Gürtelkönige adorierten die sich prosperierende Schwulenbewegung; der Bänker soff mit dem Installateur und verbrüderte sich Seite an Seite, ihre Nasen in Dinge steckend und hoch erhoben in die Toilette tragend, um sich dort frisch zu machen, sie alberten mit der Jeunesse dorée1 des Nichts; selbsternannte Theatermacher des Pseudo-Undergrounds wurden zu Pop-Stars hochstilisiert; die Kunst war zum Teufel gegangen.

„Das Theater ‚theatert‘ alles ein, also muss man dem Theater ständig etwas in den Rachen schieben, was das Theater nicht verdauen kann … Dadurch stellt THEATER dann auch die Wirklichkeit in Frage, das ist auch wohl die wichtigste politische Funktion des Theaters.“ (Heiner Müller)

Die Wiener Kulturgesellschaft deklarierte die b‘soffene Lokalszene zur Weltstadt. Wien war also doch wieder Weltstadt geworden (sic! Helmut Qualtinger). Das war „… Realität zweifellos, aber zu verstehen als Grimasse des Realen.“ (Jacques Lacan: Television.)

Hansi Hölzls vulgo Falcos eingangs zitierter Ausspruch bezeichnet implizit die ganze Tragödie dieses Jahrzehnts: Das Marstheater hatte nicht stattgefunden. Karl Kraus blieb brotlos. „Überall Produktions- oder Wunschmaschinen, die schizophrenen Maschinen, das umfassende Gattungsleben: Ich und Nicht-Ich, Innen und Außen wollen nichts mehr besagen.“ (Gilles Deleuze / Félix Guattari: Anti-Ödipus.) „Theater ist in. Nur nicht im Theater selbst.“ (Carl Hegemann).


Die wahre Tragödie ist das Missverständnis der österreichischen Avantgarde. Die Wiener Gruppe hat in der Wiener Nachkriegsgesellschaft für Jahrzehnte ein Vakuum hinterlassen. Die additive Geschichte findet immer am falschen Platz statt. „Jeder ist mit dem Fetzen zufrieden, der auf ihn fällt.“ (Oswald Wiener) Aus der Wiener Gruppe konnte sich nur Elfriede Jelinek wie ein Phoenix aus der Asche über Wien erheben und hat es für immer verlassen. „Das zeitgenössische Theater ist dekadent, weil es das Gefühl verloren hat für das Ernste einerseits und das Lachen andererseits.“ (Antonin Artaud, Das Theater und sein Double).




1 Definition Nach Duden: Jugend, die zur begüterten Oberschicht gehört und deren Leben durch Luxus und Amüsement gekennzeichnet ist; frz. = vergoldete Jugend; nach dem Sturz Robespierres (1758–1794) als Propagandawort der Jakobiner Bezeichnung für die männliche Jugend von Paris, die unter Führung des Politikers und Publizisten L. Fréron (1754–1802) zur Gegenrevolution aufrief.



Literatur

Antonin Artaud: Das Theater und sein Double. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1986. (Fischer Taschenbücher; 6451). Gilles Deleuze / Félix Guattari: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I. Übersetzt von Bernd Schwibs. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995. 7. Auflage. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; 224).

Carl Hegemann: „Simuliertes Theater. Auf der Bühne und in der Stadt“ (1986) S. 24-26. In: ders. Plädoyer für die unglückliche Liebe. Texte über Paradoxien des Theaters 1980-2005. Hrsg. v. Sandra Umathum. Berlin: Theater der Zeit, 2005. (Recherchen 28). Jacques Lacan: Radiophonie / Television. Wien: Turia + Kant, 1988. Heiner Müller, Klaus Welzel: „Wir brauchen ein neues Geschichtskonzept.“ Gespräch mit Heiner Müller. In: Klaus Welzel: Utopieverlust. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1998. (Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft; 242). Peter Weibel (Hrsg.): die wiener gruppe. a moment of modernity 1954-1960. the visual works and actions. Wien, New York: Springer, 1998. Oswald Wiener: „Einiges über Konrad Bayer.“ Die Zeit, 17.2.1978/Nr. 08.

 

Veröffentlicht in

KARL WELUNSCHEK: DER UNWIDERSPROCHENE MYTHOS DER 80ER-JAHRE. ERSCHIENEN IN DER RUBRIK ZEITFENSTER, IN: GIFT. ZEITSCHRIFT FÜR FREIES THEATER. IG FREIE THEATERARBEIT, WIEN. (AUSGABE 01/2016, NACHDENKEN ÜBER EUROPA). S. 53-55.

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